Besuch im Museum
Hildi ließ den Motor ihres roten Alfa Romeos noch einmal aufheulen, dann parkte sie den Wagen auf dem Parkplatz am Steintorplatz und stellte den Motor ab. Hella verdrehte die Augen.
„Was Autos angeht, hast du eindeutig zu viel Testosteron im Blut.“
„Es schleicht ja nicht jeder mit achtzig über die Autobahn wie gewisse andere Leute.“
„Ich muss den Motor schonen“, erwiderte Hella ungerührt. „Aber eins ist sicher: Die paar anderen Frauen, die Alfa fahren, rasen nicht mit über zweihundert Sachen durch den Elbtunnel, um sich ein illegales Rennen mit einem BMW zu liefern.“
„Es war nachts um drei, da war kaum was los. Mann, war der Kerl sauer, dass er verloren hatte und dann auch noch von der Polizei geschnappt wurde.“ Hildi lachte.
„Du hast mir nie erzählt, wie du der Polizei entkommen bist.“
„Fahrerisches Können und falsche Kennzeichen. Na gut, gehen wir?“
Ein frischer Wind fegte über den Parkplatz und trieb Regen vor sich her. Hildi stellte den Kragen ihres pelzgefütterten Mantels auf und zog den Kopf ein. Als sie ihre dünnen Wildlederhandschuhe anzog, hörte sie ein schnappendes Geräusch und wandte den Kopf. Hellas Regenschirm war schon durch die erste Windbö umgeklappt und sie zerrte an dem Stiel. Hildi grinste.
„Lach nicht so blöd. Hilf mir lieber, das verdammte Ding zusammenzuklappen!“
Mit vereinten Kräften schafften sie es, den Schirm zu schließen. Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck stopfte Hella ihn in den nächsten Mülleimer. „Und das soll ein Burberry sein? Man sollte meinen, dass die Engländer sich mit Regenschirmen auskennen.“
„Was hast du gesagt?“, fragte Hildi.
Hella trat neben Hildi und beugte sich zu ihrem Ohr vor.
„STELL DEIN HÖRGERÄT LAUTER!“
„Geht nicht, die blöde Batterie ist schon wieder leer.“ Hildi kramte in ihrer Handtasche herum. „Wo ist sie denn bloß? Ich hatte doch eine Ersatzbatterie eingepackt.“
„MACH ZU! ICH FRIERE!“
„Ah, da ist sie ja.“ Hildi zog das Hörgerät aus dem Ohr und fummelte mit der Batterie herum. „Dieses blöde Ding ist so winzig, das kann man immer ganz schlecht austauschen.“
„LASS MICH MAL!“ Hella riss Hildi das Hörgerät und die Batterie aus den Händen und setzte die Batterie geschickt ein.
„DA! UND NUN KOMM, BEVOR ICH EINE ERKÄLTUNG KRIEGE!“
„Schrei doch nicht so!“
Hildi und Hella überquerten die Straße und gingen schnell an der Seitenfront des Museums für Kunst und Gewerbe entlang, bogen um die Ecke und eilten die letzten Meter zum Eingang. Vom nahe gelegenen Hauptbahnhof ertönte das Rattern der Züge, in den kahlen Bäumen in der Grünanlage vor dem Museum krächzten ein paar Krähen. Ein großes Banner, das eine Ausstellung über chinesisches Porzellan ankündigte, knallte im Wind.
„Hier sind die vergitterten Fenster“, sagte Hella und blieb stehen, um sich die Gitter näher anzusehen.
„Lass uns das auf dem Rückweg anschauen. Ich muss dringend aufs Klo.“
„Aber du warst doch gerade erst, kurz bevor wir losgefahren sind.“
„Ich habe zu viel Kaffee getrunken. Komm endlich, bevor ich mir in die Hose pinkle!“
Hildi stieg die wenigen Stufen zum Eingang hinauf, zog die schwere Holztür auf und trat ins Museum. Hella folgte ihr in die Eingangshalle.
„Die Klos sind unten, ich bin gleich wieder da“, sagte Hildi und verschwand im Treppenhaus. Als sie zurückkam, sah sie, dass Hella sich bereits unauffällig in der Eingangshalle umsah. Auch Hildi ließ ihren Blick schweifen. Sie war zwar schon häufiger in dem Museum gewesen, das letzte Mal vor knapp einem Jahr, als sie sich eine Ausstellung über Plakate angesehen hatte, doch nun betrachtete sie alles mit professionellem Blick. Direkt vor ihnen lag die Kasse mit der Garderobe, rechts befand sich eine Buchhandlung, dahinter der Spiegelsaal, der für Empfänge und andere Festlichkeiten genutzt wurde. Sie müssten unbedingt klären, ob dort am kommenden Dienstag ein Ereignis geplant war. Das fehlte noch, dass sie mitten in ein Konzert platzen würden.
Hildi ging zu Hella hinüber und stupste ihr in die Seite. Sie zeigte auf ein Plakat, das über einer Tür links von der Kasse gespannt war.
Laurenz Grafe - ein Diamantenhändler mit Visionen
Unter dem Text war ein Bild von der Pfauenbrosche und einem nachtblauen Brillanten zu sehen.
„Der Wittelsbacher Diamant ist auch hier. Den könnten wir doch auch ...“, flüsterte Hildi Hella ins Ohr. Durch ihre Aufregung war ihr Flüstern etwa so leise wie ein startender Düsenjet.
„Psst“, zischte Hella und sah sich um. Hildis Blick folgte dem ihren. Zum Glück war es in der Eingangshalle nicht besonders voll und die gelangweilt aussehende junge Frau an der Kasse blickte nicht einmal von ihrem Smartphone auf.
„Lass uns die Mäntel abgeben, und dann los. Oder musst du vorher noch mal zum Klo?“ Hella knüpfte bereits ihren knielangen cremefarbenen Daunenmantel auf.
„Du dummes Huhn! Ich war doch gerade. So oft muss ich nun auch wieder nicht.“