Autorin Cathrin Geissler
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Parkverbot

Am nächsten Morgen saßen Hildi und Hella in Hellas weißem, unauffälligen Lieferwagen, der in dem geräumigen Anbau hinter ihrer Villa geparkt war. Neben dem Lieferwagen standen ein dunkelgrüner Bentley und, aus sentimentalen Gründen, eine grüne Ente, Hellas erstes Auto. Sie hatte am Abend vorher in Barmbek einen Satz Kennzeichen gestohlen und bereits am Lieferwagen angebracht. Als sich das Gartentor aus schwarzem verschnörkeltem Eisen geöffnet hatte, fuhr sie hindurch und schloss das Tor mit der Fernbedienung wieder. Hildi neben ihr im Beifahrersitz nestelte an ihrem falschen schwarzen Schnurrbart herum und klebte die Ecke wieder an, die sich gelöst hatte. Wie Hella auch trug sie eine Arbeitshose aus schwerem, knallorangefarbenem Stoff, eine ebenfalls orangefarbene gefütterte Jacke mit Reflektorstreifen, eine schwarze Wollmütze und derbe Stiefel. Auch Hella hatte sich einen falschen Schnauzbart angeklebt, unter ihrer schwarzen Strickmütze ragten die dunklen Haare ihrer Perücke hervor.
Auf der Fahrt zum Hauptbahnhof berichtete Hella davon, was die Auswertung der Videos der kleinen Überwachungskameras ergeben hatte.
„Nach dem Schließen des Museums um achtzehn Uhr warten die Wachleute, die sich im Ausstellungsraum befinden, bis alle Besucher die Ausstellung verlassen haben. Dann gehen sie selbst hinaus, schließen die Tür ab und schalten die Alarmanlage ein. Ab neunzehn Uhr bis acht Uhr am nächsten Morgen kommt einmal pro Stunde um Punkt Viertel nach ein Wachmann vorbei und schaut, ob alles in Ordnung ist. Zwei, drei Minuten später taucht er in der Eingangshalle auf, geht an der Buchhandlung vorbei in den Spiegelsaal und kommt knapp zehn Minuten später aus dem Raum mit der Musikinstrumentensammlung heraus.“ Hella bremste an einer roten Ampel.
„Was macht er dann?“, fragte Hildi.
„Er steigt die Treppe ins Souterrain hinunter und geht den Gang einmal ums Souterrain herum, dann verschwindet er wieder.“ Als die Ampel auf Grün sprang, fuhr Hella langsam an. Hildi merkte, dass sie mit ihrem rechten Fuß so tat, als würde sie Gas geben und atmete tief durch. Hellas bedächtige Fahrweise machte sie immer ganz nervös.
„Das Ganze dauert keine Stunde, was macht er den Rest der Zeit?“, fragte sie.
„Er taucht um Viertel vor auf der Kamera im Erdgeschoss auf und verschwindet im Securityraum.“
„Wir müssen also um zwölf Minuten vor elf loslegen.“
„Genau. Das kommt auch mit dem Ende des Fußballspiels hin.“
Hella öffnete mit einer Hand ihre Handtasche, während sie mit der anderen lenkte.
„Hier, ich habe die Grundrisse ausgedruckt. Wirklich aufmerksam vom Museum, sie ins Internet zu stellen. Ich habe alle Kameras und den Securityraum eingezeichnet. Der war nicht auf dem Plan zu sehen.“
Hildi nahm ihr die Ausdrucke aus der Hand, schob ihre Brille auf der Nase hoch und studierte sie gründlich. „Wir können uns in den toten Winkeln der beiden Kameras im Souterrain bewegen, doch sobald wir im Erdgeschoss sind, nehmen die Kameras uns auf.“
Hella nickte und bog hinter dem Hauptbahnhof auf den ZOB ab. Sie schaltete den Warnblinker ein und hielt in zweiter Reihe neben dem Parkstreifen, der Platz für drei Autos bot und natürlich belegt war. Bevor sie ausstieg, drehte sie sich zu Hildi um. „Du weißt, was das bedeutet.“
„Du willst dich in die Security einhacken.“
Hella grinste wie ein Alligator, der gerade gesehen hat, wie ein Stand-up-Paddler ins Wasser gefallen ist. „Ganz genau! Ich habe schon ein paar Vorbereitungen getroffen. Wenn wir hier fertig sind, lege ich los.“
„Es ist mir schleierhaft, wie du dich so gut mit diesem Kram auskennen kannst und auch noch Spaß daran hast. Ich bin immer froh, wenn die Technik das tut, was sie soll. Wenn nicht, bin ich total aufgeschmissen.“
Hildi öffnete die Tür und stieg aus. Der Fahrer eines blauen Golfs, der hinter ihnen in die schmale Straße gefahren war, hupte. Hildi winkte ihm zu. „Immer mit Ruhe.“
Sie öffnete die Hecktür und zog gemeinsam mit Hella ein Halteverbotsschild heraus, das sie gestern auf einer Baustelle in der Rothenbaumchaussee `geborgt´ hatten. Auf dem kleinen Schild darunter war der Zeitraum vom elften bis zum fünfzehnten Januar angegeben. Sie schleppten das Schild an den Parkplatzrand und richteten es auf.
„Meine Güte, ist das Ding schwer. Gut, dass ich zwei Schmerztabletten genommen habe, sonst würde mein Knie schlappmachen“, sagte Hella.
Der Fahrer des Golfs, ein älterer Mann mit Vollbart und Doppelkinn, trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum und sah sie wütend an. Völlig unbeeindruckt gingen Hildi und Hella zurück zum Lieferwagen und holten das zweite Schild. Sie transportierten es ans andere Ende des Parkstreifens, bauten es auf und gingen langsam zum Wagen zurück. Hella verzog im Gehen das Gesicht, offenbar wirkten die Schmerztabletten nicht gut genug.
Der Fahrer des Golfs hupte wieder und wie auf Kommando gingen sie noch langsamer. Als sie endlich am Lieferwagen angekommen waren, sah der Golffahrer so aus, als würde er vor Wut gleich einen Schlaganfall bekommen. Hildi grinste Hella an. „So viel Aufregung ist gar nicht gut für den Blutdruck.“
Sie ging zur Fahrerseite des Golfs und klopfte gegen die Scheibe. Der Mann ließ das Fenster herunter. „Sehen Sie zu, dass Sie wegkommen. Ich hab´s eilig.“
„Du Mann, du müssen beruhigen, sonst du nicht mehr alt werden. In meine Heimat Anatolien wir Sprichwort haben. Heißt `Keskin sirke küpüne zarardır´. Bedeutet `Aggression nur dir selbst schadet´“, erwiderte Hildi mit tiefer Stimme und schwerem Akzent. „Güle güle.“
Sie nickte dem Mann freundlich zu, ging zurück zum Lieferwagen, stieg ganz in Ruhe ein und nachdem sie die Tür zugezogen hatte, startete Hella den Motor. Als sie losgefahren war, fing Hella an zu lachen. „Du, Mann, du müssen beruhigen“, sagte sie kichernd.
„Du hättest seinen Gesichtsausdruck sehen müssen. Er hat geguckt, als hätte er ein Nilpferd in seinem Bett entdeckt, das mit seiner Frau kuschelt.“ Hildi grinste von einem Ohr zum anderen.
„Du hast mir gar nicht erzählt, dass du Türkisch lernst.“
„Ich kann nur dieses eine Sprichwort und `hallo´ und `tschüss´.“
„Eins ist sicher: Falls die Polizei sich nach den Leuten erkundigen sollte, die die Halteverbotsschilder aufgestellt haben, und falls sie irgendwie auf diesen Kerl stoßen, wird er sich nur an einen unverschämten Arbeiter mit Riesenschnauzbart erinnern.“


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